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Geschlechtsumwandlung oder: Warum ich zum gefühlt zehnten Mal meine Romane umschreibe.

Bücher werden nicht geschrieben, sie werden umgeschrieben. Finde dich damit ab!

– Ken Follett.

Kaum ein Spruch über das Schreiben hat sich für mich so sehr bewahrheitet wie dieser.

Ich habe die Bücher der Crawford-Chroniken, die auf einer lebenden Rollenspiel-Runde basieren, ursprünglich als Fan-Art in Westeros angesiedelt.

Eines Tages, Band 3 war gerade fertig, meinte einer meiner Mitspieler doch glatt: Warum spielen wir überhaupt in Westeros? Einige der Figuren aus der Romanwelt sind unantastbar, weil sie weiterleben müssen, wenn wir der Vorlage treu bleiben wollen, außerdem sind wir eh nur lose mit der Welt verknüpft. Und: Du kannst deine Bücher so nicht veröffentlichen.

Zuerst wollte ich ihn ein bisschen erwürgen.

Zwei Tage habe ich dann mit mir gerungen und die Wahrheit seiner Worte erkannt.

Das war der Startschuss für mein Worldbuilding und das erste komplette Umschreiben der Romane. Insgesamt hat es 9 Monate gedauert und mich einiges an Nerven gekostet. Ich nenne es gern die größte Hausaufgabe meines Lebens und es war nicht nur deswegen die wirkliche Feuerprobe für mich als Autorin. Die eigene Arbeit zu lesen und festzustellen, was man sich da zusammengemurkst hat, ist nicht gut fürs Ego, um es mal vorsichtig zu sagen.

Nun bin ich etwa fünf Überarbeitungen weiter, die Bücher sind zweimal lektoriert, Band 1 und 2 vom Text her veröffentlichungsreif, und ich komme auf den Trichter, eine der Figuren von einem Mann in eine Frau zu verwandeln.

Warum tue ich mir das an?

Es fuchst mich nach wie vor, dass die meisten Protas in meiner Geschichte Männer sind. Eigentlich hätte ich lieber ausgeglichene Geschlechtsverhältnisse.

Klar, in einer patriarchalen Welt können Männer mehr „machen“ und besitzen mehr Freiheiten, dürfen beispielsweise Waffen führen. Diese Freiheiten, die an das männliche Geschlecht geknüpft sind, waren ein wichtiger Grund dafür, warum die Mitspieler*innen sich bei der Wahl ihrer Figuren vornehmlich für Männer entschieden haben. Es hätten aber nicht gleich 5 Crawford-Brüder und 0 Schwestern werden müssen, das war meine (!) Bauch-Entscheidung mit dem ikonischen Bild von „A Clockwork Orange“ vor Augen. Die korrespondierende Szene mit Anspielung auf den Film findet ihr in einem der ersten Kapitel von Band 1. Und bedenkt: Bei der Erschaffung der Welt und Figuren hat niemand geahnt, dass es Romane über die Crawfords geben würde.

Wie dem auch sei: Ich habe die Not zur Tugend gemacht und den Umstand, dass es 5 Brüder sind, zu einem dramatischen Plot-Arc verarbeitet.

Doch würde ich wieder so entscheiden? Ich denke nicht.

Jedenfalls versuche ich nun nachträglich mehr Geschlechtergerechtigkeit in die Chroniken zu bringen.

Eine der Figuren, bei denen ich es schadlos und mit überschaubarem Aufwand tun kann, wird nun also zur Frau. Es sei verraten: Es ist keiner der Brüder.

Dabei schreibe ich so wenig um wie möglich, bestenfalls ändere ich nur „er“ in „sie“ etc., so jedenfalls der Plan. Doch schon bei der ersten Überarbeitungssession musste ich eine Ehefrau in einen Ehemann umändern und merkte, dass die Ehefrau sehr klassisch weiblich konnotierte Dinge von sich gegeben hat, die sich für einen Ehemann seltsam anfühlten.

Hier zeigte sich gleich: Das Ganze ist ein interessantes Experiment.

Gibt es nach der Umwandlung Stellen, an denen man denkt: „So benimmt sich doch keine Frau!“, oder „So reden Frauen nicht!“?

Genau diese Stellen sind doch entlarvend dafür, dass wir immer noch geprägt sind von alten, um nicht zu sagen überkommenen Rollenklischees.

Ich bin jedenfalls gespannt, ob hinterher irgendwer erkennt, wer die „Transfrau“ ist.

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